In einer aktuellen Entscheidung hat das Amtsgericht Köln (Urt. v. 22.04.2021, Az.: 111 C 569/19) klargestellt, dass der Retweet eines Beitrages mit einem urheberrechtlich geschützten Werk keine Urheberrechtsverletzung darstellt. Auch wenn es sich um eine Entscheidung eines Amtsgerichtes handelt, kann man aus dieser Entscheidung wichtige rechtliche Erkenntnisse für das eigene Nutzerverhalten auf Twitter, Instagram oder Facebook mitnehmen.
Zum Hintergrund der Entscheidung
Beide Parteien sind Journalisten und jeweils einen Account auf der Plattform Twitter. Der Kläger ließ von sich ein neues Porträtbild erstellen. Diese nutzte er sodann als neues Profilbild für seinen Account. Der Pressesprecher einer Bundestagsfraktion veröffentlichte in der Folge einen Text auf Twitter und lud in diesem Zusammenhang auch das neue Porträtbild des Klägers hoch. Im Zusammenhang mit einem eigenen Beitrag retweetete der Beklagte diesen Beitrag des Pressesprechers samt des Porträtbildes des Klägers. Dieser Beitrag des Beklagten wurde seinerseits wieder mehrfach von Dritten retweetet.
In dem Retweet des Beklagten sah der Kläger eine Verletzung seiner urheberrechtlich geschützten Nutzungsrechte an dem Porträtbild. Er ließ daher den Beklagten zunächst außergerichtlich abmahnen und forderte neben der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auch die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Der Beklagte gab eine Unterlassungserklärung ab. Die Rechtsanwaltskosten zahlte der Beklagte hingegen nicht. Diese machte der Kläger mit der Zahlungsklage beim Amtsgericht Köln geltend.
Die Entscheidung des Amtsgericht Köln
Das Gericht wies die Zahlungsklage ab. Ein Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten aus § 97a Abs. 3 S. 1 UrhG besteht nicht. Ein solcher Anspruch besteht nur, wenn die Abmahnung berechtigt ist. Die Abmahnung war jedoch nach der Auffassung des Gerichts nicht berechtigt. Eine Abmahnung ist nur berechtigt, wenn der Abmahnende einen Anspruch auf Unterlassung hat. Ein solcher besteht nach § 97 Abs. 1 UrhG jedoch nur, wenn der Abgemahnte widerrechtlich ein urheberrechtlich geschütztes Recht verletzt hat. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall nach der Ansicht des Amtsgerichtes jedoch.
Der Retweet des Beklagten stelle schon keine urheberrechtlich relevante Verarbeitung dar. Hierzu führt das Amtsgericht aus:
„[…] Ein Retweet auf Twitter stellt eine Nutzungshandlung dar. Werden Beiträge auf Twitter retweetet, liegt ein Fall des sogenannten „Embeddings“ vor. Beim Embedding werden fremde Inhalte nicht kopiert sondern bestehende Inhalte in das eigene Social-Media-Profil eingebunden. In einem solchen Fall liegt daher weder eine Vervielfältigung im Sinne des §16 UrhG noch eine öffentliche Zugänglichmachung im Sinne des §19 UrhG vor. Auch ist in der Wiedergabe des fremden Beitrages auf der eigenen Profilseite im Rahmen des Retweetens keine öffentliche Wiedergabe im Sinne des § 15 Abs. 2 UrhG zu sehen. Eine solche Wiedergabehandlung liegt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vor, wenn eine recht große und unbegrenzte Anzahl an Personen erreicht und für ein neues Publikum wiedergegeben wird, das heißt für Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche Wiedergabe erlaubte (EuGH, GRUR 2014, 360 Rn.17 – Svensson; GRUR-RS 2017, 127832 – Mops-Foto). Bei der Frage, ob ein neues Publikum erreicht wird knüpft der Europäische Gerichtshof daran an, ob der Inhalt zuvor beschränkt oder unbeschränkt abrufbar war. Vorliegend war das streitgegenständliche Porträtbild bereits auf Twitter unbeschränkt abrufbar. Ein Inhalt, der bereits mit Zustimmung des Urhebers der Gesamtheit von Internetnutzern verfügbar war, kann nach Auffassung des Gerichts unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht erneut dieser Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Kann das Werk ohnehin von jedem Nutzer der Plattform eingesehen werden, weil der Nutzer, der das Werk ursprünglich veröffentlicht hat, die Privatsphäre-Einstellung auf der Plattform so gewählt hat, dass der Beitrag öffentlich also von jedermann einsehbar ist, liegt ein „neues Publikum“ nicht vor. […]“
Die Nutzung des Bildes erfolgte zudem auch nicht rechtswidrig, da der Kläger zumindest konkludent in eine solche Nutzung eingewilligt habe.
„Wer Texte und Fotos auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und Twitter hoch lädt und sie im Profil öffentlich stellt, willigt konkludent in deren Weiterverbreitung auf der jeweiligen Plattform ein. Es entspricht der gängigen Praxis von Twitter, dass Inhalte und Bilder geteilt bzw. retweetet werden. […] Innerhalb der Funktionalitäten einer Plattform sind die urheberrechtlichen Nutzungshandlungen daher von einer konkludenten Einwilligung des einstellenden Nutzers gedeckt. Die konkludente Einwilligung folgt auch aus dem Wesen der Social-Media-Plattformen. Diese sind darauf ausgelegt, dass ihre Nutzer mit ihren Äußerungen und Bildern größtmögliche Breitenwirkung erzielen wollen. Wer diese Plattform nutzt und Inhalte darauf stellt muss wissen und damit rechnen, dass andere Nutzer von den Möglichkeiten, die die jeweilige Plattform bietet, Gebrauch machen. […] Werden Inhalte daraufhin bewusst eingestellt, darf dies von den anderen Nutzern als Zustimmung gewertet werden, dass diese Inhalte wie die anderen Inhalte der Plattform im Rahmen ihrer Funktionalität genutzt werden dürfen.“
Auswirkungen für die Praxis
Das Amtsgericht Köln gibt mit seiner Entscheidung ein wenig die Leitplanken vor, wann urheberrechtlich geschützte Beiträge Dritter auch ohne deren ausdrückliche Zustimmung genutzt werden können. Wichtig sind dabei im Wesentlichen zwei Dinge
- das geschützte Werk wurde von dem Inhaber der Rechte ohne Einschränkung auf der Plattform bereits veröffentlicht;
- die eigene Nutzung dieses Werkes erfolgt innerhalb der Funktionalitäten der Plattform.
Liegt bereits eine dieser beiden Voraussetzungen nicht vor, weil zum Beispiel der Rechteinhaber den Personenkreis, der seine Beiträge zur Kenntnis nehmen kann, beschränkt hat, dann kann in der Verbreitung dieses Beitrags – ohne Einschränkung – eine widerrechtliche Nutzungshandlung vorliegen. Unzulässig ist es zudem, Profilfotos anderer Nutzer auf seinem Rechner zu speichern und in einem weiteren Schritt in einem ganz neuem Beitrag und Kontext zu posten. Zum einen liegt hierin eine Vervielfältigung des Bildes und zum anderen läge in diesem Fall kein Embedding im Sinne der vom Amtsgericht zitierten Rechtsprechung des EuGH vor. Das dürfte im Ergebnis auch für die auf Social Media Plattformen oft vorgenommenen Screenshots von Beiträgen Dritter gelten. Enthalten solche Beiträge auch urheberrechtlich geschützte Werke (z.B. Bilder), dann erfolgt die Anfertigung eines solchen Screenshots nicht mehr innerhalb der Funktionalitäten der Plattform. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine unzulässige Vervielfältigungshandlung.