Teil 1: Kann sich WOOG auf Erschöpfung i.S.v. Art. 15 UMV berufen?

Mit Spannung wurde das Urteil des Landgerichts München I (Az. 17 HK O 1703/20) zwischen der AVM Computersysteme Vertriebs GmbH („AVM“) und der Antragsgegnerin („WOOG“) in dem einstweiligen Verfügungsverfahren um gebrauchte FritzBox-Router erwartet. Am 14. Mai 2020 verkündete das Landgericht sein Urteil: Der Vertrieb der gebrauchten Router durch WOOG bleibt verboten. In der Folge wurde zahlreich über die Entscheidung berichtet (Auswahl):

Die Begründung des Gerichts liest sich so, als wäre sie vom Ergebnis her gedacht. Jedenfalls erscheint die Begründung teilweise widersprüchlich. Es bleibt zu hoffen, dass das Oberlandesgericht München in diesem -auch für den Umweltschutz wichtigen- Verfahren die Möglichkeit bekommt, mehr Klarheit zu schaffen.

Im ersten Teil der Beitragsreihe befasse ich mich mit der Frage, ob sich die Antragsgegnerin WOOG auf Erschöpfung nach Art. 15 UMV berufen kann. Im zweiten Teil der Beitragsreihe gehe ich der Frage nach, ob die Verwendung des Zeichens rein beschreibend nach Art. 14 UMV erfolgte und aus diesem Grund zulässig sein könnte.

Hintergrund der Entscheidung

Der Hintergrund der Entscheidung ist schnell erzählt. WOOG kaufte beim Kabelnetzbetreiber Unitymedia (jetzt Vodafone) mehrere Paletten gebrauchter Fritzboxen der Serie 6490 Cable. Unitymedia vermietete diese Boxen an seine Kunden während der Laufzeit eines TK-Dienstvertrages. Die im Streit stehenden Boxen waren mit einer speziellen Firmware ausgestattet, welche im Ergebnis dafür sorgte, dass die Router nur -wie von Unitymedia gewünscht- eingeschränkt funktionierten. Optisch wichen die Boxen von den „üblichen“ Geräten der Serie 6490 Cable in roter Farbe dadurch ab, dass sie vollständig in Weiß gehalten waren. Darüber hinaus hatte Unitymedia die Geräte noch mit seinem eigenen Logo versehen. Weitere optische Unterschiede zwischen den streitgegenständlichen Geräten und den Seriengeräten gab es nicht.

WOOG kaufte diese Boxen und brachte sie auf den neusten Stand: u.a. wurde die Unitymedia-spezifische Firmware dieser Boxen mit der aktuellen AVM Firmware versehen, die von einem AVM-Server heruntergeladen wurde. Zudem wurde das Logo von Unitymedia entfernt. Letztlich verkaufte WOOG mit diesen Fritzboxen, die den gleichen Leistungsumfang hatten, wie die Seriengeräte.

Die Entscheidung des Gerichts

AVM mahnte WOOG zunächst außergerichtlich ab. Nachdem die verlangte Unterlassungserklärung nicht abgegeben wurde erwirkte AVM bereits im Februar 2020 eine einstweilige Verfügung beim Landgericht München I gegen WOOG. Gegen diese einstweilige Verfügung hatte WOOG sodann Widerspruch eingelegt, über welchen am 9. April 2020 mündlich verhandelt wurde.

Mit seiner Entscheidung vom 14. Mai 2020 bestätigte das Landgericht München die bereits erlassene einstweilige Verfügung. Hierzu führte es in der Sache unter anderem wie folgt aus:

„Der Umstand, dass die Antragsgegenseite FRITZ!Boxen der UM-Versionen auf einen Stand brachten, der demjenigen der Serienversionen entspricht, stellt eine Veränderung i.S.v. Art. 15 Abs. 2 UMV dar.

 Es wurde die installierte Firmware durch eine andere Firmware ersetzt, weshalb von einer Änderung der Eigenart dieser Geräte der Klägerin auszugehen ist, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob hierdurch die Funktion verschlechtert wurde.

 Es wurde auf eine Eigenschaft der mit der Marke der Antragstellerin gekennzeichneten Geräte eingewirkt. Es wurde deren Verwendungszweck verändert, den die Markeninhaberin beim Inverkehrbringen dieser Geräte vorgesehen hatte, nämlich dass diese nur einen eingeschränkten Leistungsumfang gegenüber den Serienmodellen haben sollten. Zu den Merkmalen, auf die sich die Garantiefunktion der Marke der Antragstellerin bezieht, gehört auch der geringere vorgesehene Leistungsumfang.“

Bereits an dieser Stelle erscheint die Begründung des Landgerichts nicht logisch. Tatsächlich gibt es nur eine (!) Marke „FRITZ!Box“. Diese eine Marke wird sowohl für die Geräte der Serienversion als auch für die Geräte der hier im Streit stehenden Unitymedia-Sonderedition verwendet. Da aber für beide Geräte-Varianten nur eine Marke verwendet wird, gilt insgesamt auch nur ein Garantieversprechen der verwendeten Marke. Und dieses Versprechen wird gehalten: Die von WOOG verkauften Router der weißen Serien erhielten eine aktualisierte AVM Firmware aufgespielt, damit sie denselben Leistungsumfang wie die weißen Seriengeräte haben.

Das Landgericht schrieb jedoch in seinem Urteil:

„Wenn aber dieser Leistungsumfang entgegen dem, was seitens des Markeninhabers vorgesehen war, wesentlich erhöht wird, reicht dies nach Überzeugung der Kammer aus, um die Erschöpfung nach Art. 15 Abs. 2 MarkenG auszuschließen. Denn die angesprochenen Verkehrskreise erwarten, dass die Funktion und der Verwendungszweck der Geräte nach dem Inverkehrbringen nicht derart von einem Dritten ohne Zustimmung des Markeninhabers verändert worden sind.“

Auch diese Feststellungen sind vor dem Hintergrund des konkreten Sachverhalts alles andere als zwingend. Das Landgericht verweist in seinem Urteil regelmäßig auf die sog. SIM-Lock Entscheidung des BGH (Urt. v. 9.6.2004 – I ZR 13/02). Unter anderem für die Feststellung, dass es nicht darauf ankomme, „ob hierdurch [die Veränderung] die Funktion verschlechtert wurde“. Hier stellt sich allerdings schon die Frage, ob ein Urteil aus dem Jahr 2004 zu SIM-Lock Handys auf die Konstellation von Routern 16 Jahre später übertragbar ist. Denn hier ist es, soweit dem Urteil zu entnehmen ist, zwischen den Parteien unstreitig, dass die Maßnahmen von WOOG die Boxen ja „nur“ auf den Stand der Serienvarianten gebracht haben. Zum einen ist damit im Verhältnis zu der Sonderedition ein erweiterter Leistungsumfang verbunden, mithin eine Verbesserung. Zum anderen würde AVM bei Lichte betrachtet den Leistungsumfang der eigenen Serienvarianten wohl nicht als eine Verschlechterung ansehen. Bereits diese Kontrollüberlegung verdeutlicht, dass das Landgericht München vom Ergebnis argumentiert hat.

Welche Funktion hat eine FRITZ!Box?

Weiter führt das Landgericht aus, dass die Funktion und der Verwendungszweck der Geräte nach dem Inverkehrbringen nicht derart von einem Dritten ohne Zustimmung des Markeninhabers verändert werden darf. Auch hier stellt sich die Frage, was genau mit „Funktion und Verwendungszweck“ tatsächlich gemeint ist. In erster Linie haben die Router die Funktion und den Verwendungszweck, den Zugang zum Internet zu ermöglichen. Diesen Zweck erfüllen auch die von WOOG verkauften Geräte. Auch mit diesen Geräten können die Kunden Zugang zum Internet erhalten. Das Landgericht München verengt die Funktion und den Verwendungszweck aber darauf, dass nur ein eingeschränkter Leistungsumfang von AVM gewollt war. Verwiesen wird hierzu auf die Garantiefunktion (Hervorhebung nicht im Original):

„Zu den Merkmalen, auf die sich die Garantiefunktion der Marke der Antragstellerin bezieht, gehört auch der geringere Leistungsumfang.“

Das ergibt jedoch keinen Sinn, denn – wie gezeigt – wird die streitgegenständliche Marke sowohl für die Geräte der Serienproduktion als auch für die der Sonderedition verwendet. Der geringere Leistungsumfang der Sonderedition kann also in diesem Zusammenhang nicht für die Bestimmung der Funktion und des Verwendungszwecks relevant sein und muss unberücksichtigt bleiben. Die hier im Streit stehenden Geräte erfüllen diese Funktion und diesen Verwendungszweck.

Keine Verletzung der Herkunfts- und Garantiefunktion

Der BGH hatte zudem in seiner Entscheidung „Gewinnfahrzeug mit Fremdemblem“ (Urteil vom 3. 11. 2005 – I ZR 29/03) bereits ausgeführt:

„Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift soll der Markeninhaber nur Handlungen verbieten können, welche die Herkunfts- und Garantiefunktion seines Zeichens verletzen. Dies ist anzunehmen, wenn durch die Veränderung die Eigenart der Ware berührt wird, wobei sich die Eigenart auf die charakteristischen Sacheigenschaften der Ware beziehen muss.“

Kann eine Verletzung der Garantiefunktion der Marke AVM bei den gebrauchten Geräten, die von WOOG auf den neueren Stand gebracht wurden, vorliegen? Die streitgegenständliche Marke wird von AVM bereits selber sowohl für die Geräte der Serienproduktion als auch der Sonderedition verwendet. Beide Gerätevarianten nehmen damit an der Garantiefunktion dieser Marke teil. Es ist also nicht ersichtlich, wie es zu einer wesentlichen Veränderung der streitgegenständlichen Geräte kommen kann, welche ein Verbot des Verkaufs solcher gebrauchter Geräte verbietet.