Ist die Löschung von Beiträgen und die Sperrung von Accounts durch Twitter zulässig?
Kurz vor den Europawahlen wurden zunehmend Accounts auf Twitter vorübergehend gesperrt. Hintergrund der Sperren waren meist Beiträge, die sich humoristisch zum Ablauf einer Wahl äußerten. So wurde zum Beispiel darauf hingewiesen, dass die eigene Stimme nur dann gültig ist, wenn man den Wahlzettel unterschrieben in die Wahlurne wirft. In den wohl meisten Fällen handelte es sich mehr um einen Spaß als um die ernsthafte Erwartung, dass bestimmte Wählergruppen diesen Hinweis für bare Münze halten könnten.
Twitter hat – wie andere soziale Netzwerke auch – allerdings seine Nutzungsbedingungen dahingehend geändert, dass auch solche Beiträge gelöscht werden könnten, die geeignet seien, Desinformationen im Zusammenhang mit Wahlen zu verbreiten. Hintergrund dieser verschärften Nutzungsbedingungen ist ein Aktionsplan der Europäischen Union, die Beeinflussung von Wahlen durch bewusst gesteuerte Desinformationskampagnen zu verhindern. Dieses Ziel ist durchaus zu begrüßen, da der Einfluss von sozialen Netzwerken im Wahlkampf nicht zu unterschätzen ist.
Was ist Desinformation?
Bereits im Oktober 2018 wurden die sozialen Netzwerke folglich aufgefordert, Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation zu ergreifen. Wobei Desinformationen wie folgt definiert sein sollen:
„Desinformationen sind nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die erstellt, bekannt gemacht und verbreitet werden. Mit Desinformationskampagnen wollen ausländische staatliche Akteure gesellschaftliche Debatten beeinflussen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in öffentliche Einrichtungen und Medien schwächen oder demokratische Verfahren wie Wahlen destabilisieren.“
Der Hinweis, seinen Wahlzettel bei der Stimmabgabe zu unterzeichnen kann streng genommen als Desinformation im Sinne dieser Definition verstanden werden. Allerdings werden hiervon auch Ausnahmen gemacht. Bereits in der Einleitung des „Aktionsplan gegen Desinformation“ wird ausgeführt
„Versehentliche Fehler bei der Berichterstattung, Satire und Parodien oder eindeutig gekennzeichnete parteiliche Nachrichten oder Kommentare sind keine Desinformation.“
Nimmt man diese Klarstellung hinzu, ist der humoristische Beitrag über die Unterzeichnung von Wahlzetteln nicht mehr ganz so eindeutig als Desinformation zu qualifizieren. Im Gegenteil, da es sich um Satire handelt, fällt dieser Beitrag nicht mehr in den Anwendungsbereich des „Aktionsplan gegen Desinformation“.
Verträge sind einzuhalten
Freilich ist der Aktionsplan der Europäischen Kommission nicht Gegenstand des Nutzungsvertrages zwischen Twitter und seinen Nutzern und die Antwort auf die Frage nach der Befugnis zur Löschung solcher Beiträge wird man zunächst weiterhin nur in den Nutzungsbedingungen suchen müssen. Allerdings wird man festhalten müssen, dass die Wertungen, die sich aus diesem Aktionsplan ergeben, nicht völlig unberücksichtigt bleiben dürfen. Als Säule 3 „Mobilisierung des Privatsektors bei der Bekämpfung von Desinformation“ (S. 9 d. Aktionsplans) wird beschrieben, wie soziale Netzwerke bei der Bekämpfung von Desinformation eingebunden werden können. Dies erfolgte durch die Unterzeichnung eines Verhaltenskodex. Diesen hat auch Twitter unterzeichnet, sodass die Änderungen der eigenen Community-Richtlinien maßgeblich durch den Aktionsplan gegen Desinformation beeinflusst wurde.
Satire ist kein Hate Speech
Seit den zahlreichen gerichtlichen Verfahren gegen Facebook wegen der Löschung von sog. Hate Speech Beiträgen wird diskutiert, ob Plattformbetreiber Beiträge löschen dürfen, die inhaltlich die Schwelle eines rechtswidrigen (vulgo: gesetzeswidrigen) Verhaltens nicht überschreiten. Die Gerichte mussten sich also mit der Frage befassen, ob der Nutzer einen Anspruch auf Wiederherstellung seines von Facebook gelöschten Beitrages hat. Hier sind sich die Gerichte bis zum Schluss nicht einig, wobei zuzugeben ist, dass die Tendenz dahin geht, dass Plattformen Beiträge nicht zu dulden haben, die gegen ihre Nutzungsbedingen verstoßen, ohne zugleich auch gegen ein gesetzliches Verbot zu verstoßen.
Zu diesem Ergebnis gelangten die Gerichte in der Regel nach einer Abwägung der sich gegenüber stehenden Interessen und Rechte. Denn einig sind sich die Gerichte darin, dass sowohl zugunsten der Plattformen Grundrechte (Art. 2, 12, 14 GG) ins Feld geführt werden können, als auch zugunsten der einzelnen Nutzer (Art. 5 GG). Einig sind sich die Gerichte auch, dass die Grundrechte im Verhältnis zwischen Plattform und Nutzer zwar nicht unmittelbar wirken, insoweit bleibt es dabei, dass Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat sind. Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen sind sie aber zumindest mittelbar zu berücksichtigen.
In den Hate Speech-Sachverhalten kamen die Gerichte überwiegend zu dem Ergebnis, dass die Interessen von Facebook an der Löschung des jeweiligen Beitrages überwiegen. Das OLG Stuttgart (Beschl. v. 6.9.2018 – 4 W 63/18) führt hierzu exemplarisch aus:
„Besteht für die Ag. nach den Umständen jedoch eine berechtigte Gefahr, selbst gem. § 4 NetzDG oder als mittelbare Störerin in Anspruch genommen zu werden, hat die Meinungsfreiheit, und zwar lediglich, seine Meinung gerade auf der Plattform der Ag. zu äußern, im Rahmen der Abwägung jedenfalls zurückzutreten. Dies ist vorliegend der Fall. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung zumindest hart an der Grenzen zur unzulässigen Schmähkritik. Schmähkritik genieß nicht den Schutz des Art. 5 I 1 GG. Sie setzt voraus, dass jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.“
Dann also, wenn die Plattform aufgrund der konkreten Aussage Gefahr liefe, selbst in die Haftung genommen zu werden, überwiegt nach der wohl überwiegenden Rechtsprechung in den Hate Speech Fällen das Interesse der Plattformen an der Löschung. Und genau an diesem Punkt unterscheiden sich meiner Ansicht nach die Hate Speech Fälle von den aktuellen Sachverhalten, die Twitter zur flächendeckenden Sperrung von Accounts veranlasst. Humoristische Beiträge zu politischen Wahlen verwirklichen ohne das Hinzutreten weiterer Merkmale in der Regel keinen Katalogtatbestand des NetzDG, sodass eine Inanspruchnahme aus dieser Richtung nicht droht. Auch werden hierdurch nicht in anderer Weise die Rechte Dritter verletzt. Twitter läuft also nicht Gefahr von anderen Nutzer in Anspruch genommen zu werden, sollten Beiträge veröffentlicht werden, die Wähler dazu aufforderten, ihre Wahlscheine vor dem Einwerfen in die Urne zu unterschreiben.
Nicht-Löschung schadet Twitter nicht
Wägt man also die Interessen von Twitter mit den Interessen der Nutzer in diesen Fällen ab, wiegt die Löschung eines nach deutschen Gesetzen zulässigen Beitrages für den Nutzer schwerer als die Nichtlöschung für Twitter. Dies gilt erst recht, wenn man sich vor Augen führt, dass selbst die Europäische Kommission humoristische Beiträge gerade nicht als Desinformation einstuft. Zwar ist zuzugestehen, dass sich bei einem Beitrag nicht zwangsläufig der satirische Charakter sofort aufdrängt und somit für das Portal die Bewertung erschwert. Aber auch das lässt meiner Ansicht nach die Interessen von Twitter nicht überwiegen. Zum einen droht Twitter auch weiterhin keine unmittelbare Inanspruchnahme durch einen Dritten, da ein solcher Beitrag auch weiterhin nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Zum anderen bestünde die Möglichkeit bestehende Zweifel durch ein vorgeschaltetes Anhörungsverfahren auszuräumen. Eine vorherige Anhörung des betroffenen Nutzers findet im Löschverfahren bei Twitter allerdings gerade nicht statt, vielmehr kann dieser erst nach Löschung gegen diese eine Beschwerde einlegen.
Wie geht es weiter?
Auch wenn die Intention, Wahlbeeinflussung zu unterbinden, zu begrüßen ist, so ist die Umsetzung höchst bedenklich. Dies vor allem deswegen, weil sich Twitter – wohl unbewusst – instrumentalisieren lässt. Nutzern ist daher zu raten, gegen die Löschung von Beiträgen vorzugehen, um aus der Fülle der Einzelfallentscheidungen einen Hebel zu erhalten, Twitter zu einer Korrektur seiner Community Richtlinien in Bezug auf Desinformationen zu überarbeiten.
Wie ein solches gerichtliches Vorgehen möglich ist, zeigen die geschätzten Kollegen von Löffel Abrar in ihrem Beitrag #Twittersperrt – Prozessuales Vorgehen gegen Account-Sperren.
Auch der Kollege Christian Säfken schreibt in seinem Blog, wie er Twitter außergerichtlich zur Wiederherstellung seines Beitrages aufgefordert hat.
Der Kollege Thomas Stadler wirft in seinem Blog zudem die Frage auf, ob die Sperrung seines Beitrages/Accounts nicht bereits deswegen unzulässig war, weil Twitter die neuen Nutzungsbedingungen nicht wirksam in den Vertrag mit ihm eingebunden hat.
Update 1:
Die Kollegen von Spirit Legal haben heute eine der ersten Entscheidungen zu dieser Frage veröffentlicht. Das Landgericht Nürberg-Fürth hat im Wege der einstweiligen Verfügung entscheiden, dass es Twitter untersagt sei, einen Beitrag zu löschen, wenn dieser offensichtlich satirischen Hintergrund hat und deswegen von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Die Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth ist zu begrüßen, da sich die Fälle zu #twittersperrt in einem wesentlichen Punkt von den Hate Speech Fällen unterscheiden. Bei harmlosen Tweets wie „Aktueller Anlass: Dringende Wahlempfehlung für alle AfD-Wähler. Unbedingt den Stimmzettel unterschreiben. ;-).“ läuft Twitter zu keinem Zeitpunkt Gefahr, selber von einem vermeintlich betroffenen in Anspruch genommen zu werden. Vor diesem Hintergrund führt eine Interessenabwägung auch zu einem Überwiegen der Interessen der Nutzer, dass Beiträge von Twitter nicht gelöscht werden.
Update 2:
In der aktuellen Ausgabe der K&R 8/2019 habe ich gemeinsam mit Oliver Löffel einen Fachaufsatz zur prozessualen Durchsetzbarkeit von Ansprüchen auf Wiederherstellung von zu Unrecht gesperrten Beiträge auf twitter verfasst. Den Beitrag gibt es im Volltext bereits hier: KUR_07_08_19_Beitrag_Laoutoumai_Loeffel
Ein Kommentar zu „Twitter versteht keinen Spaß“
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