Teil 1: Kein genereller Ausschluss des Widerrufsrechts bei der Online-Apotheke
Im Online-Handel steht dem Verbraucher grundsätzlich ein Widerrufsrecht zu. Weil er online die Ware vor dem Kauf nicht anprobieren oder sonst wie testen kann, soll ihm die Möglichkeit gegeben werden, die von ihm gekaufte Ware zuhause zu testen und bei Nichtgefallen wieder zurückschicken zu können. Bei Kleidung, Spielzeug oder bei Elektronikartikeln bestehen keine Zweifel daran, dass dem Verbraucher hier ein solches Widerrufsrecht zusteht. Anders liegt es allerdings bei Arzneimitteln. Hier war lange Zeit höchst umstritten, ob dem Verbraucher bei der Online-Apotheke ein Widerrufsrecht zusteht oder ob nicht vielmehr einer der Ausschlusstatbestände greift.
Vor der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie
Vor der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie im Jahr 2014 wurde überwiegend die Auffassung vertreten, dass ein Widerrufsrecht bei Arzneimittel grundsätzlich ausgeschlossen sei. Begründet wurde diese Ansicht unter anderem damit, dass Arzneimittel aus rechtlichen Gründen nach ihrer Rücksendung an die jeweilige Online-Apotheke tatsächlich nicht mehr veräußerbar seien. Durch eine weite Auslegung des § 312d Abs. 4 Nr. 1 BGB (a.F.) bestünde kein Unterschied darin, ob ein bestimmtes Produkt aus tatsächlichen oder eben aus rechtlichen Gründen nach einer Rücksendung nicht mehr absetzbar sei. Aus diesem Grund sei das Widerrufsrecht bei Arzneimitteln per se ausgeschlossen.
Erste Entscheidungen nach Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie
Nach der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie haben sich mittlerweile die ersten Gerichte mit dieser Frage befassen müssen. So hat sich beispielsweise das OLG Naumburg (Urt. v. 22.6.2017 – 9 U 19/17) gegen einen generellen Ausschluss des Widerrufsrechts in der Online-Apotheke ausgesprochen, insbesondere da die vom Gesetzgeber normierten Ausnahmetatbestände des neuen § 312g Abs. 2 BGB nicht in jedem einzelnen Fall zu Anwendung kommen. Als Ausnahmevorschrift sei § 312g Abs. 2 BGB grundsätzlich eng auszulegen und die bestehenden Ausnahmetatbestände nicht über den eigentlichen Wortsinn auszudehnen. Die Frage, ob ein Widerrufsrecht besteht oder nicht besteht, muss vielmehr für jeden Einzelfall gesondert geprüft und festgestellt werden. Je nach Art des jeweiligen Arzneimittels kann die Frage anders zu beantworten sein. Danach kann im Einzelfall und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ein Ausschluss des Widerrufsrechts bei Arzneimitteln bestehen. Ein genereller Ausschluss des Widerrufsrechts bei Arzneimitteln besteht jedoch nach dem OLG Naumburg nicht.
Aktuelle Entscheidung des Kammergerichts Berlin
Dieser Entscheidung hat sich erst kürzlich auch das Kammergericht Berlin (Urt. v. 9.11.2018 – 5 U 185/17) angeschlossen. Hierzu hat es unter anderem festgestellt
„Arzneimittel sind keine Waren, die generell und stets i.S. von Nr. 2 schnell verderben können. Die Annahme eines rechtlichen Verderbens erscheint als eine – interessengeleitete – semantische Konstruktion, die aber dem Gesetzeswortlaut und dem erkennbaren Gesetzgeberwillen, ein generelles Widerrufsausschlussrecht hier gerade nicht herzugeben, ersichtlich zuwiderläuft.“
Zwar könne im Einzelfall der Ausnahmetatbestand der Versiegelung nach § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB greifen, müsse es aber jedenfalls nicht stets und immer, sodass auch dieser Ausnahmetatbestand einen generellen Ausschluss des Widerrufsrechts rechtfertigt.
Was müssen Online-Apotheken beachten?
Da also das Widerrufsrecht nach der jüngsten obergerichtlichen Rechtsprechung nicht generell ausgeschlossen ist, sollte ein solcher genereller Ausschluss auch nicht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen formuliert werden. Eine solche Klausel widerspricht den gesetzlichen Vorgaben aus § 312g BGB und kann über § 3a UWG sowohl von Wettbewerbern als auch Verbraucherschutz- und Wettbewerbsverbänden abgemahnt und im Zweifel auch gerichtlich geltend gemacht werden.
Der Verbraucher ist vielmehr über das Bestehen eines Widerrufsrechts informiert werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urt. v. 9.12.2009 – VIII ZR 219/08) ist der Betreiber einer Online-Apotheke bei der Belehrung über das Nichtbestehen eines Widerrufsrechts nicht verpflichtet, dies für jedes angebotene Arzneimittel gesondert anzugeben. Erforderlich aber auch ausreichend ist die Wiedergabe des Wortlautes der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften über den Ausschluss des Widerrufsrechts.
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Eine kurze Besprechung des Urteils des OLG Naumburgs findet sich hier.