Das Notice-and-Takedown-Verfahren als Voraussetzung eines substantiierten Sachvortrag im Prozess

LG Hamburg, Urt. v. 12.01.2018 – 324 O 63/17

Auf den Punkt.

Kann der Portalbetreiber (hier: Google Plus) im Prozess weder darlegen noch beweisen, dass für eine negative Bewertung eine reale Tatsachengrundlage besteht, hat das bewertete Unternehmen einen Anspruch auf Löschung der negativen Bewertung, wenn dieser einen tatsächlichen Kontakt bestreitet.

Hintergrund

Seit der Entscheidung „spickmich“ des BGH müssen Unternehmen damit leben, dass diese im Internet auf entsprechenden Portalen bewertet werden. Dies gilt auch dann, wenn das Unternehmen kein eigenes Profil auf dem betreffenden Portal angelegt hat und pflegt. Auch negative Bewertungen muss ein Unternehmen in diesem Zusammenhang dulden, solange es sich hierbei weder um unwahre Tatsachenbehauptungen oder beleidigende Äußerungen über das Unternehmen handelt.

Auch die schlichte Bewertung mit einer Note oder im Rahmen einer Sterneskala, ohne weitere Begründung ist als Meinungsäußerung im Grundsatz zulässig und vom Unternehmen zu dulden. In seiner Entscheidung vom 1.3.2016, Az. VI ZR 34/15 „Ärztebewertung III“ hat der BGH allerdings festgestellt, dass eine Bewertung, der kein tatsächlicher Kontakt zugrunde lag, einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Bewerteten darstelle und damit rechtswidrig sei. Hintergrund sei, dass einer Meinungsäußerung ohne konkreter tatsächlicher in der Interessenabwägung keine schutzwürdigen Belange zur Seite stünden und daher zurückzutreten habe gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Bewerteten. Damit sind freilich Bewertungen in der Form einer schlechten Note, ohne Begründung per se unzulässig. Wird aber der tatsächliche Kontakt zwischen Bewerter und Bewerteten bestritten, muss dieser tatsächlich stattgefundene Kontakt, der Grundlage für die Bewertung war, substantiiert dargelegt und im Streitfall nachgewiesen werden. Nur dann kann die negative Bewertung als zulässige Meinungsäußerung im Prozess auch Bestand haben.

Die Entscheidung

Das LG Hamburg musste sich mit der Frage befassen, ob eine negative Bewertung ohne weitere Begründung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstelle. Hintergrund war die Bewertung der Klägerin auf dem Portal Google Plus. Die Klägerin ist ein Gasthaus in Berlin. Neben durchweg positiven Bewertungen fand sich auf dem Portal der Beklagten eine Bewertung mit nur einem Stern. Die Klägerin beanstandete diese Bewertung gegenüber der Beklagten insbesondere mit der Begründung, dass dieser Bewertung kein Kontakt zugrunde lag und damit ihre Rechte verletzt. Die Beklagte verweigerte die Weiterleitung der Beanstandung an den Verfasser der Bewertung zur Stellungnahme. Die Beklagte vertrat die Ansicht, in der Sternebewertung liege eine zulässige Meinungsäußerung, sodass eine Weiterleitung bereits nicht mehr erforderlich sei. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Klage vor dem LG Hamburg.

Das LG Hamburg hat der Klage stattgegeben und die Beklagte auf Unterlassung der weiteren Verbreitung der streitgegenständlichen Bewertung verurteilt. Dabei stellte das Landgericht Hamburg zunächst fest, dass in der Bewertung mit nur einem Sterin im Grundsatz eine Meinungsäußerung liege. Es stellte weiter fest, dass eine solche Meinungsäußerung auch dann zulässig sein könne, wenn sie keine weitere Begründung enthalte. Allerdings führt das Landgericht Hamburg dann wie folgt aus:

„Die zugunsten der Beklagten streitende Meinungsäußerung findet jedoch – soweit es um Äußerungen in den Medien geht – dort ihre Grenze, wo es für eine bestimmte und eine andere belastende Meinung schlechthin keine tatsächliche Bezugspunkte gibt. Fehlen also tatsächliche Bezugspunkte, auf die sich eine Meinung stützt oder sind die tatsächlichen Bezugspunkte unwahr, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig gegenüber dem kollidierenden Schutzgut zurücktreten.“

Nachdem die Beklagte das Notice-and-Takedown-Verfahren nicht durchgeführt hatte, war es dieser im Prozess nicht möglich, hierzu substantiiert und unter Beweisantritt vorzutragen. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht Hamburg der Klage aus prozessualen Gründen stattgegeben.

Unser Kommentar

Die Entscheidung verdient im Ergebnis Zustimmung. Das Landgericht Hamburg hat den Sachvortrag der Parteien gewürdigt und musste feststellen, dass der Bewertung kein tatsächlicher Kontakt zugrunde lag. Selbst wenn tatsächlich ein Kontakt vorlag, oblag es der Beklagten, diesen substantiiert darzulegen und zu beweisen, insbesondere, nachdem die Klägerin diesen substantiiert in Abrede gestellt hatte. Dabei hat das Landgericht berücksichtigt, dass der Klägerin nur eingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung standen, um nachzuprüfen, ob ein Kontakt vorlag. Die Anforderungen an den Umfang des Bestreitens eines Kontaktes sind also abhängig vom eigenen Geschäftsmodell an. Werden umfangreiche Kundenlisten geführt, reicht ein pauschales Bestreiten eines Kontakts wohl nicht. Immer unterstellt, der gewählte Nutzername des Bewerters lässt in irgend einer Art und Weise eine Identifizierung überhaupt zu.

In einer ähnlichen Konstellation hat das Landgericht Augsburg (Urt. v. 17.8.2017, 022 O 560/17) eine Klage auf Unterlassung zurückgewiesen, da es einen solchen Kontakt einfach zugunsten des Portals unterstellt hat. Damit hat das Landgericht Augsburg in prozessual nicht nachvollziehbarer Weise den fehlenden Vortrag der Beklagten durch eigene Annahmen ersetzt. Vielmehr oblag es auch dort der Beklagten, den bestrittenen tatsächlichen Kontakt darzulegen und nachzuweisen.

Wie das Urteil des Landgericht Hamburg zeigt, ist die Durchführung des Notice-and-Takedown-Verfahren nicht nur materiell-rechtliche Voraussetzung für das Portal, eine eigene Haftung zu vermeiden. Wird das Beanstandungsverfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, haftet das Portal gegenüber dem Bewerteten selber auf Unterlassung. Hängt die Verteidigung im Prozess dann von der Frage ab, ob der negativen Bewertung ein tatsächlicher Kontakt vorlag, der Grundlage der Bewertung war, muss das Portal diesen im Prozess darlegen und beweisen. Dies umso ausführlicher, je substantiierter vom Bewerteten in Abrede gestellt wird. Naturgemäß war der Betreiber des Portals bei diesem angeblichen Kontakt nicht dabei. Die einzige Möglichkeit sich zu diesem Kontakt im Prozess erklären zu können besteht dann, wenn das Portal sich den Kontakt im Wege des Notice-and-Takedown-Verfahren hat bestätigen lassen. Das Notice-and-Takedown-Verfahren muss in diesem Zusammenhang als Sachverhaltsermittlung im eigenen Interesse verstanden werden. Wird der Sachverhalt nicht ausreichend aufbereitet und in den Prozess eingebracht, führt dies dazu, dass der fehlende Kontakt als zugestanden zu werten ist oder anders gewendet, dass ein Kontakt nicht positiv festgestellt werden konnte. Da es dem Portal aber möglich war, hierzu ausreichende Ermittlungen anzustrengen, dürfte ein entsprechender Vortrag in der nächsten Instanz als verspätet zurückgewiesen werden müssen.

Betreiber von Bewertungsportalen ist daher anzuraten, das Notice-and-Takedown-Verfahren auch aus prozessualem Eigeninteresse ernst zu nehmen. Nur so ist es ihnen überhaupt möglich, in einem Prozess zum Sachverhalt, an dem sie naturgemäß nicht beteiligt waren, vortragen zu können.

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