Online-Apotheke können nicht pauschal für alle Medikamente das Widerrufsrecht ausschließen
In einer aktuellen Entscheidung hat sich das OLG Naumburg mit der Frage beschäftigen müssen, ob für Medikamente im Online-Handel ein Widerrufsrecht besteht oder dieses aufgrund der Art der Ware grundsätzlich nach § 312g BGB ausgeschlossen ist. Diese Frage ist in Literatur und Rechtsprechung durchaus umstritten, und das OLG Naumburg hat – soweit ersichtlich – als erstes Obergericht hierzu nach Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie Stellung genommen. Noch mit Vorgängerfassung des § 312g BGB hatten sich das AG Köln, das LG Köln sowie das LG Halle befasst. Mit seiner Entscheidung vom 22. Juni 2017 (9 U 19/17) hat sich nun das OLG Naumburg erstmalig zur Anwendbarkeit von § 312g BGB auf Medikamente im Online-Handel auseinandergesetzt.
Pauschaler Ausschluss des Widerrufsrecht in AGB
Hintergrund der Entscheidung war eine Klausel in den AGB einer Online-Apotheke, die ohne Unterschiede für alle Medikamente im Sortiment klargestellt hat, dass kein Widerrufsrecht bestünden, vgl.:
„Bei apotheken- oder verschreibungspflichtigen Arzneimitteln besteht nach Übergabe an den Kunden kein Widerrufsrecht, da diese aufgrund der Vorschriften die Arzneimittelsicherheit wegen ihrer Beschaffenheit nicht für de Rücksendung geeignet sind und schnell verderben können;“.
Nach der Auffassung des OLG Naumburgs verstößt diese Klausel gegen die Vorschrift des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Eine solche Klausel führe zu einer unangemessenen Benachteiligung der Kunden, da sie von den gesetzlichen Regelungen zum Verbraucherwiderrufsrecht abweicht und mit den wesentlichen Grundgedanken des Verbraucherwiderrufsrecht nicht zu vereinbaren sei.
Auch beim Online-Vertrieb von Arzneimittel grundsätzlich Widerrufsrecht möglich
Das OLG Naumburg hat ausgeführt, dass es sich bei der Vorschrift des § 312g BGB um eine Ausnahmevorschrift handele, die zunächst eng auszulegen sei. Zwar erkannte das Gericht an, dass es durchaus möglich sei, dass bestimmte Arzneimittel schnell verderblich seien. Für diese greife sodann die Ausnahmevorschrift des §312g Abs. 2 Nr. 2 BGB. Es gebe aber auch solche Arzneimittel, die eben nicht schnell verderben. Eine vermeintlich schnelle „rechtliche Verderblichkeit“ von Arzneimitteln falle nicht unter den Wortlaut des § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB. Das OLG Naumburg ist der Auffassung, dass es auch an den Voraussetzungen für eine Analogie fehle, denn der Gesetzgeber kannte bei Schaffung des § 312g BGB die kontroverse Diskussion, hat sich allerdings bewusst gegen einen pauschalen Ausschluss des Widerrufsrechts bei Arzneimitteln entschieden. Auch die Regelung des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB führe nicht zu einem pauschalen Ausschluss des Widerrufsrechts, da nicht jedes Arzneimittel versiegelt sei.
Aufgrund des derzeitigen Wortlauts des § 312g BGB sehe sich der Senat daran gehindert, einen pauschalen Ausschluss des Widerrufsrecht bei Arzneimittel anzunehmen.
Konsequenzen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Naumburg ist soweit ersichtlich die erste obergerichtliche Entscheidung zum neuen § 312g BGB und der Frage, ob für Arzneimittel ein Widerrufsrecht besteht. Das Gericht kann beim derzeitigen Wortlaut der Vorschrift kein pauschalen Ausschluss des Widerrufsrecht feststellen. Vielmehr kommt es auf das konkrete Arzneimittel an, welches verkauft wird. Ist es schnell verderblich, ist ein Ausschluss über § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB möglich. Ist das Arzneimittel versiegelt und wurde die Versiegelung vom Kunden geöffnet, besteht eine Ausschlussgrund nach § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB kann immer dann in Betracht kommen, wenn ein Arzneimittel für den Patienten individuell zusammengestellt wird. Darüber hinaus gilt allerdings der Grundsatz, dass auch für Arzneimittel zunächst ein Widerrufsrecht besteht. Der pauschale Ausschluss stellt damit eine unangemessene Benachteiligung der Kunden dar, denn diese machen von ihrem Recht nicht Gebrauch, selbst wenn ihnen das im Einzelfall doch zusteht.
Für Online-Apotheken heißt das aber, dass sie ein Widerrufsrecht berücksichtigen müssen. Gleichzeitig müssen sie die Verbraucher informieren, dass das Widerrufsrecht im Einzelfall ausgeschlossen sein kann. Diese Information muss allerdings so differenziert sein, dass klar ist, dass das Widerrufsrecht für alle Arzneimittel pauschal ausgeschlossen ist.